Sonntag, 6. Februar 2011

Die Schweiz inszenieren

Letztes Jahr bot uns ein Ausflug nach Zürich die Gelegenheit, endlich einmal die neu gestaltete Dauerausstellung des Landesmuseums anzuschauen. Wie jeder brave Schweizer Schulbub hatte ich die weihevollen Hallen unseres nationalen Museums als Kind zwei-dreimal mit gehörigem staatsbürgerlichem Respekt durchschritten. Respekt erheischt das Schloss beim Zürcher Hauptbahnhof weiterhin, auch wenn die neue Präsentation sehr zugänglich ist. Und an einige Eindrücke aus meinen Kindheitsbesuchen wurde ich auf dem historischen Rundgang ganz zwangslos da und dort wieder erinnert – so im ausführlichen Abschnitt über die Reformation, wo die wohl bekanntesten Reliquien des Hauses, Helm und Schwert von Zwingli, ihren gebührenden Raum einnehmen. Zuvor wird in aller Kürze, aber mit edelsten Objekten das christliche Mittelalter veranschaulicht; zuletzt leitet der Aufstieg der Schweizer Industrie in die Zeitgeschichte über. Und wie es inzwischen Mode ist, werden nach dem ersten, chronologischen Teil die überreichen kunsthistorischen Bestände an Skulptur, Malerei, Kunsthandwerk in ihrer ganzen Masse eindrücklich und sehr gekonnt präsentiert. Mangels Zeit und Energie konnten wir diese reiche Fülle gar nicht mehr im Detail betrachten.

Im Zusammenhang mit der Neueröffnung hatte ein Detail einiges an Polemik im rechten politischen Spektrum entfesselt: Die mit dem simplen (geklauten) Satz „Niemand war schon immer da“ gemachte Feststellung, dass viele bedeutende Schweizerinnen und Schweizer ursprünglich gar keine solchen waren. Das Landesmuseum als Propagandaschleuder? Gemach. Das Einführungskapitel in die Dauerausstellung stellte einzig die – in diesem Zusammenhang nicht nur berechtigte, sondern selbstverständliche – Frage, wer denn die Menschen waren, die früher auf dem Gebiet der heutigen Schweiz wohnten, und woher die kommen, die jetzt hier sind. Diese doppelte Frage gibt einerseits Anlass zur gerafften Präsentation der Frühgeschichte und Antike, anderseits zu ein paar Feststellungen über die heutige Bevölkerung. Dass eine nationale Selbstbildvermittlungsinstitution dabei die Gelegenheit ergreifen muss, Vorurteile zu berichtigen und unbekannte Aspekte in die Diskussion einzubringen, erscheint mir naheliegend; es wäre sogar möglich gewesen, auf die Konstruktion (und Konstruiertheit) der nationalen Identität noch expliziter einzugehen. Aber der Teil über die Schweiz und die Schweizer ist ohnehin nicht der politischste Teil der Ausstellung. Das eigentliche politische Statement ist die Ausführlichkeit, mit welcher die spannendsten fünfzig Jahre der Schweizer Geschichte inszeniert sind, die Epochenwende zwischen dem Ende des Ancien Régime und der Verfassung von 1848. Für mich ist das die Schlüsselperiode der Schweiz. Unerträgliche Spannungen hatten sich im kurzen Bürgerkrieg entladen – und danach schafften echte Patrioten ruhig und speditiv unter dem Radar des monarchistischen Europas hindurch den modernsten Staat des Kontinents. Wenn man unbedingt auf eine Periode der Schweizer Geschichte stolz sein will, dann ist es diese. Und man kann gegenüber all jenen, die sich mit bewusstem oder unbewusstem Zurechtbiegen der historischen Forschung die Eidgenossenschaft von 1291 für ihre Propagandazwecke zu nutzen machen, die Bedeutung des Bundesstaates von 1848 nicht genügend betonen. Dem Landesmuseum gebührt Dank dafür, diese Zeitenwende in den Fokus gerückt und mit grosser Geste illustriert zu haben.


Technisches: Das Landesmuseum Zürich hat die wohl beste ÖV-Anbindung aller Schweizer Museen: In Zürich HB aus einem der zahllosen Züge steigen, zum Perronkopf gehen und dann nur noch links raus – voilà. Das Haus ist täglich ausser montags von 10 bis 17 Uhr geöffnet, am Donnerstag sogar bis 19 Uhr.

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