Freitag, 18. März 2011

Les émotifs anonymes

Eine krankhaft scheue Confiseurin sucht Arbeit in einer etwas heruntergewirtschafteten Schokoladenfabrik, trifft dort auf einen Patron, der ebenso gehemmt ist wie sie selber – und die beiden verlieben sich auf den ersten Blick. Wie aber sollen die Ärmsten je zusammen kommen? Und überhaupt: Wie soll man aus dieser Idee einen Film machen, der sich nicht in Peinlichkeit und billigen Scherzen erschöpft? Jean-Pierre Améris hat das Kunststück mit Les émotifs anonymes geschafft. Den grössten Anteil daran haben seine Hauptdarsteller. Wie Benoît Poelvoorde als Jean-René Van Den Hugde zwischen gelegentlichem Mut, häufiger Traurigkeit und abgrundtiefer Verzweiflung fast simultan hin- und herwechselt, wie er all diese Gefühle mit sparsamster Mimik und Gestik auslebt – das ist ganz grosse Schauspielkunst. Und Isabelle Carré als Angélique Delange legt mit übermenschlicher Anstrengung immer wieder einen dünnen Firnis von Selbstbewusstsein über ihre dennoch kaum zu bändigende Menschenscheu. Und wie sie einen der besten Filmsätze der letzten Jahre, ein simples: „Ah, tiens, bonsoir!“, so setzt, dass im ganzen Kino fröhliches Gelächter ausbricht, muss man gesehen haben (ich empfehle dringend die Visionierung des Trailers).

So ist dieser kurze, leichtfüssige Film nie verletzend, sondern bittersüss-komisch. Mit ein paar klugen Weichenstellungen im Drehbuch gibt Améris seinen gehemmten Protagonisten regelmässig den nötigen Anstoss, die Geschichte voranzubringen: Jean-Renés Psychologe stellt ihm kleine Aufgaben, die das Potential sowohl zu desaströsen als auch zu wunderbar intimen Situationen in sich tragen. Angélique ist in Tat und Wahrheit keine simple Confiseurin, sondern eine der talentiertesten Chocolatières, die das Land je gesehen hat. Und die Selbsthilfegruppe der Emotifs anonymes steuert im richtigen Moment ganz regelwidrig den sanften Tritt in den Hintern bei, den sich Jean-René und Angélique trotz aller Willensanstrengung selber nicht geben können. So kann der Film leicht selbstironisch enden, in einer wunderschön poetischen Szene, entspannt untermalt vom eingängigen Big Jet Plane von Angus & Julia Stone.


Technisches: Les émotifs anonymes ist einer jener französischen Filme, denen man den Sprung über den Röstigraben von Herzen wünscht. (Es existiert auch bereits ein deutscher Titel, der leider ziemlich missglückt ist: Anonyme Romantiker.) Im Moment läuft er noch da und dort in der Westschweiz.

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