Montag, 28. Mai 2012

Kleiner Grenzverkehr

Eine gute Komödie braucht vor allem etwas: genügend Reibungsflächen, an denen sich das Komische entflammen kann. Der französische Regisseur und Schauspieler Dany Boon lässt Rien à déclarer, den Nachfolger seiner Erfolgskomödie Bienvenue chez les Ch’tis, an einer Reibungsfläche par excellence spielen, an einer Landesgrenze. Zwar handelt es sich „nur“ um diejenige zwischen Frankreich und Belgien, ist man versucht zu sagen – aber die zur Bekräftigung der eigenen Identität notwendige Abgrenzung gegenüber dem anderen speist sich ja bekanntlich auch aus geringfügigen Unterschieden. An dieser Grenze tummelt sich das gesamte zugehörige Personal: die Grenzbeamten zu beiden Seiten, darunter die eigentlichen Protagonisten, der Franzose Mathias (Boon selber) und der heissblütige belgische Nationalist Ruben (Benoît Poelevoorde, den wir bereits in Les émotifs anonymes gesehen hatten, und dessen zwischen Verzweiflung, innerer Bestimmung und latentem Wahnsinn schwankender Blick ausgezeichnet zum extremistischen Zöllner passt); das ungleiche Wirtepaar aus dem sinnvoll benannten Bistro No Man’s Land, der eigentlichen neutralen Zone in diesem emotional aufgeladenen Fleck Land; die Schmugglerbande mit ihrem schmierigen Boss und seinem tölpelhaften Personal. Da eine Komödie ohne amouröse Verwicklungen nur eine halbe Komödie ist, lässt Boon seinen Mathias seit einem Jahr eine heimliche Beziehung mit Rubens Schwester Louise unterhalten (Romeo und Julia an der Grenze, sozusagen). Dann schlägt er gewissermassen die Hauptstütze dieses Geschichtenkonstrukts weg, die Grenze (die im Zuge von Schengen de facto aufgehoben wird) – und schaut vergnügt zu, was sich in dieser in sich zusammenfallenden kleinen Welt an absurdem Chaos abspielt.

Das ergibt einen etwas vorhersehbaren Film, der vor allem in der ersten Hälfte hauptsächlich aus reichlich plakativen Einzelszenen besteht. Routiniert werden sämtliche potenziellen Gags durchgespielt: Rubens nationalistischer Fervor darf sich in aller Breite entfalten, was zur unvermeidlichen Konfrontation mit den Grenzern von vis-à-vis führt; der grenzdebile Schmuggler fliegt nach allen Regeln der Kunst auf; die skrupellose Wirtin ihrerseits wird zur Informantin des lokalen Bandenbosses, dabei effizient behindert von ihrem trotteligen Mann. Und natürlich wird der Infight zwischen Ruben und Mathias gekonnt zugespitzt, indem die beiden in der ersten gemischten Grenzbrigade in einem alten, dann aufgemotzten Renault 4L über die Landstrassen geschickt werden. Das bewirkt viele herzliche Lacher, aber ergibt noch keine Geschichte. Nur allmählich beginnt diese, Form anzunehmen, bekommen die karikaturalen Figuren Fleisch, Blut und eine Seele. Gleichzeitig fangen die schwelenden Konflikte an zu eskalieren, und in einem schön komponierten Finale gipfeln die Handlungsstränge im klassischen Happy End.

Rien à déclarer ist gewiss kein besonders ernsthafter Beitrag zur europäischen Frage. Von anderen gegenwärtig zirkulierenden, nicht besonders ernsthaften Beiträgen zur europäischen Frage unterscheidet er sich immerhin darin, dass er eineinhalb Stunden unbeschwertes Amüsement verschafft.

Technisches: Rien à déclarer war 2010 in den Kino; ich verweise deshalb pauschal auf die Händler, Ausleiher und Downloadanbieter Ihres Vertrauens. Wenn immer möglich empfehle ich, zur Originalversion zu greifen: Für Nicht-Frankophone sind zwar die unterschiedlichen Akzente nicht immer deutlich auseinanderzuhalten, aber spätestens wenn Dany Boons Mathias den accent belge veräppelt, merken es sogar wir…

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