Am Anfang war die Musik. Das ist sie zwar bei einem
Ballettabend mit Orchester per
definitionem, aber dieses Mal auf spezielle, intensivere Weise. Die
Orchesterballette, die ich bisher am Stadttheater Bern gesehen hatte, waren
Handlungsballette zu einem grossen Stück. Da wird die Musik schnell zur blossen
Begleitung, während sich auf der Bühne eine Geschichte entfaltet, die sehr
unabhängig sein kann. Herzschläge,
der erste Tanzabend der Saision 2012/13, bestand aus drei individuellen
Halbstündern – oder eben präziser: aus drei musikalischen Meilensteinen des 20.
Jahrhunderts. Drei grosse Choreografen präsentierten dazu je ein Stück. Und sie
taten dies nicht, indem sie Geschichten erzählten oder sich in Extravaganzen
verloren. Sie setzten die Musik in Tanz um.
Am deutlichsten tat dies Örjan Andersson. Seine Ansage im
Programmheft war deutlich: „Das übertriebene Bedürfnis, immer nach einer
Bedeutung zu suchen oder nach einer symbolischen Dimension, ist ermüdend.“ Die Symphony Nr. 3 für Streichorchester von
Philip Glass ist ein schlichtes Werk, das viel mit repetitiven Motiven
arbeitet, um daraus und darüber solistische Melodien erblühen zu lassen. Tatsächlich:
Noch nie habe ich ein Ballett gesehen, das so direkt und schnittstellenlos die
Musik in Tanz übersetzte. In einer kontinuierlichen, oft kreisenden Bewegung
verzahnten sich die Tänzerinnen und Tänzer ineinander, gingen räumlich und im
Gestus aneinander vorbei; plötzlich fanden sich zwei zu einer wie zufällig synchronen
Bewegung, bevor sie wieder ihrer Wege gingen, oder einer stach als Einzelmaske
für kurze Zeit heraus. Es war, als hülfe die optische Umsetzung, einer präzisen
Analyse gleich, die Symphonie in ihrer Struktur zu verstehen. Und umgekehrt half
die Musik, den Tanz als zwingende Einheit wahrzunehmen. Eine Entdeckung war
Glass auf jeden Fall für mich.
War Philip Glass‘ Werk aus dem Jahr 1995 überraschend
zugänglich, ist Igor Stravinskys Ballett Agon
etwas vom Sperrigsten, das ich überhaupt je gehört habe. Melodie, Harmonie, Rhythmus
sind keine erkennbar; über weite Strecken werden die Instrumente des riesigen,
im Graben dicht gedrängten Orchesters wie einzelne Tasten einer
überdimensionierten Orgel eingesetzt. Ein hartes Stück Arbeit, so mein
Eindruck. Und wie Stravinsky die Musiker (und die Zuhörer) an ihre Grenzen
trieb, forderte der in Lyon wirkende Kreter Andonis Foniadakis dem wie üblich
hervorragend disponierten Ballettensemble das Letzte ab. Unglaublich physische,
athletische Szenen, wie spektakuläre Stunts auf Sekundenbruchteile getimt,
prägten das Stück. Grossartig war das Bühnenbild: Eine Art Giants‘ Causeway,
zunächst als Pfad über die Bühne, danach als gewaltiger schräger Baldachin.
Zum Schluss dann ein Klassiker, ein Ohrwurm, die grösste
Effekthascherei im Pantheon der klassischen Musik: Ravels Bolero. Ich wusste
gar nicht, dass dies tatsächlich ursprünglich eine Ballettmusik war, von Bronislawa
Nijinska uraufgeführt, später von Maurice Béjart massgebend interpretiert. Wir
sahen die Fassung des holländischen Choreografen Johan Inger aus dem Jahr 2001.
Seltsam, wie sich Reprisen von Uraufführungen unterscheiden: Die Stimmung ist
eine andere, irgendwie schwingt etwas Museales mit, eine grössere Sicherheit,
die auch mal leicht gesetzt wirken kann. Inger führt eine etwas surreale
Liebeskomödie auf, rund um eine Holzwand, die bald gerade, bald schräg, bald im
rechten Winkel auf der Bühne steht, mit rasant sich öffnenden und schliessenden
Türen. Im Gedächtnis bleibt vor allem das Krachen, mit dem die Körper laufend
auf das Holz knallen. Besonders viel, gebe ich zu, habe ich vom Tanz nicht
mitbekommen: Zu gross war die Versuchung, aus der ersten Reihe des zweiten Balkons
immer wieder in den Orchestergraben zu linsen, die Vielfalt der Instrumente zu
bestaunen und die gerade aktiven auszumachen, der Trommlerin bei ihrer feinen
Fleissarbeit zuzuschauen, das allmähliche, langsame Erstarken auch optisch zu
bewundern. Der Bolero riss das Publikum von den Stühlen. Schroff, aber klug
kontrastierte Inger ihn mit Arvo Pärts Klavierstück Für Alina, das leise und zerbrechlich die frustriert aneinander
vorbeiziehenden Figuren begleitete.
Ich habe viel gelernt an diesem Abend, und viel begriffen.
Und ich habe sehend und hörend wenig überlegt und viel genossen, mich über
poetische Momente gefreut und gestaunt. So abgelutscht und unspezifisch er ist,
der Titel Herzschläge trifft das
Programm gut.
Technisches: Ach, zu
spät – die Dernière ist bereits vorüber, der Abend Geschichte. Leider weiss ich
jetzt auch gar nicht, wie ich darauf verlinken soll...
Freitag, 25. Januar 2013
Herzschläge
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