Dienstag, 15. Januar 2013

Kalter Wind

Ach, Bacci Pagano. Schon auf den ersten Seiten von Kalter Wind in Genua geht der Privatdetektiv mit der Frau, die er beschattet, nachts um eins in deren Wohnung hoch, um alsbald unter dem geblümten Samtmorgenmantel ihre festen, schneeweissen Oberschenkel und ihre vollen Brüste zu erspähen. Und wenige Seiten später läuft er wie von ungefähr einer ivorischen Prostituierten in die Arme, der er ohne viel Federlesens Asyl in seiner Wohnung gewährt – gegen Bezahlung in Naturalien, wie originell. Ich bleibe dabei: Dieses Machogehabe passt so gar nicht zum eigentlich komplexen und reflektierten Charakter Paganos. Und wenn der Gute halt um Gottes Willen ein Frauenheld sein muss: Könnten dann wenigstens einige der ungezählten Objekte seines Interesses so aussehen, als wären sie nicht direkt dem Playboy entsprungen?

Nachdem meine Fundamentalkritik an der Hauptfigur hiermit erneuert und präzisiert ist, können wir zum Buch selber vordringen. Und auch hier bestätige ich: Bruno Morchio schreibt grossartige Krimis, verliert nie den Überblick über seine Handlungsfäden und webt sie mit meisterhaftem Timing ineinander. War jedoch Wölfe in Genua von einer leichten Eleganz durchzogen, die in der raschen, souveränen Entschlüsselung des Mordes am alten Halunken gipfelte, so ist Kalter Wind in Genua ein roman noir, grimmig und illusionslos. Bacci Pagano durchschaut alles – und alles misslingt ihm. Die Verbündeten schwächeln, die Lizenz wird ihm entzogen, die Faschos der Antiterror-Polizei vermöbeln ihn nach Strich und Faden, und ein alter, berüchtigter Killer, der einem Geist gleich durch die Stadt schleicht, kontert den sonst so instinktsicheren Detektiv zweimal wie einen Schuljungen mit leichter Hand aus. Da hilft es Pagano wenig, dass er die richtigen Spuren verfolgt, die richtigen Schlüsse zieht, die richtigen Warnungen ausspricht: Terroristen und Mafiosi lachen zuletzt; gönnerhaft breiten sie ihr postideologisches Weltbild aus, rücken ihre Verbrechen streng logisch ins beste Licht und geizen nicht mit Spott an den Rechtschaffenen. Von Trost, selbst symbolischem, keine Spur. Man muss wissen: Kalter Wind spielt im Genua der Nullerjahre, kurz nach der Polizeibrutalität am G8-Gipfel, in einem zum Operettenstaat umfunktionierten Italien, wo ehedem progressive Kräfte durch Egoismus und Inkompetenz einem alternden Selbstdarsteller den roten Teppich nicht nur ausgebreitet, sondern auch noch staubgesaugt haben. Hoffnung ist da wahrlich mit der Lupe zu suchen. Morchio deutet sie in winzigen Details an: In ehrlichen Gesprächen, in aufmerksamer Grosszügigkeit lässt er da und dort die menschliche Güte aufscheinen. Auch das ist in seiner Diskretion und Behutsamkeit ganz grosse Kunst.

Technisches: Bruno Morchio, Kalter Wind in Genua. Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler. Zürich, Union 2009 (Unionsverlag-Taschenbuch 444, Reihe metro). ISBN 978 3 293 20444 7. Das italienische Original ist unter dem Titel Bacci Pagano – una storia da carruggi 2004 bei Fratelli Frilli in Genua erschienen.

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