Ach, Bacci Pagano. Schon auf den ersten Seiten von Kalter Wind in Genua geht der
Privatdetektiv mit der Frau, die er beschattet, nachts um eins in deren Wohnung
hoch, um alsbald unter dem geblümten Samtmorgenmantel ihre festen,
schneeweissen Oberschenkel und ihre vollen Brüste zu erspähen. Und wenige
Seiten später läuft er wie von ungefähr einer ivorischen Prostituierten in die
Arme, der er ohne viel Federlesens Asyl in seiner Wohnung gewährt – gegen
Bezahlung in Naturalien, wie originell. Ich bleibe dabei: Dieses Machogehabe
passt so gar nicht zum eigentlich komplexen und reflektierten Charakter Paganos.
Und wenn der Gute halt um Gottes Willen ein Frauenheld sein muss: Könnten dann
wenigstens einige der ungezählten Objekte seines Interesses so aussehen, als
wären sie nicht direkt dem Playboy entsprungen?
Nachdem meine Fundamentalkritik an der Hauptfigur hiermit
erneuert und präzisiert ist, können wir zum Buch selber vordringen. Und auch
hier bestätige ich: Bruno Morchio schreibt grossartige Krimis, verliert nie den
Überblick über seine Handlungsfäden und webt sie mit meisterhaftem Timing
ineinander. War jedoch Wölfe in Genua
von einer leichten Eleganz durchzogen, die in der raschen, souveränen
Entschlüsselung des Mordes am alten Halunken gipfelte, so ist Kalter Wind in Genua ein roman noir, grimmig und illusionslos. Bacci
Pagano durchschaut alles – und alles misslingt ihm. Die Verbündeten schwächeln,
die Lizenz wird ihm entzogen, die Faschos der Antiterror-Polizei vermöbeln ihn
nach Strich und Faden, und ein alter, berüchtigter Killer, der einem Geist
gleich durch die Stadt schleicht, kontert den sonst so instinktsicheren
Detektiv zweimal wie einen Schuljungen mit leichter Hand aus. Da hilft es Pagano
wenig, dass er die richtigen Spuren verfolgt, die richtigen Schlüsse zieht, die
richtigen Warnungen ausspricht: Terroristen und Mafiosi lachen zuletzt;
gönnerhaft breiten sie ihr postideologisches Weltbild aus, rücken ihre
Verbrechen streng logisch ins beste Licht und geizen nicht mit Spott an den
Rechtschaffenen. Von Trost, selbst symbolischem, keine Spur. Man muss wissen: Kalter Wind spielt im Genua der
Nullerjahre, kurz nach der Polizeibrutalität am G8-Gipfel, in einem zum
Operettenstaat umfunktionierten Italien, wo ehedem progressive Kräfte durch
Egoismus und Inkompetenz einem alternden Selbstdarsteller den roten Teppich
nicht nur ausgebreitet, sondern auch noch staubgesaugt haben. Hoffnung ist da
wahrlich mit der Lupe zu suchen. Morchio deutet sie in winzigen Details an: In ehrlichen
Gesprächen, in aufmerksamer Grosszügigkeit lässt er da und dort die menschliche
Güte aufscheinen. Auch das ist in seiner Diskretion und Behutsamkeit ganz
grosse Kunst.
Technisches: Bruno
Morchio, Kalter Wind in Genua. Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler. Zürich,
Union 2009 (Unionsverlag-Taschenbuch 444, Reihe metro). ISBN 978 3 293 20444 7.
Das italienische Original ist unter dem Titel Bacci Pagano – una storia da carruggi 2004 bei Fratelli Frilli in Genua erschienen.
Dienstag, 15. Januar 2013
Kalter Wind
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